Vertrauenskultur - eine Schlüsselaufgabe für Unternehmen in der digitalen Welt

Ein Beitrag von:
Dr. Ursula Grooterhorst, Rechtsanwältin, Mediatorin und Coach, Düsseldorf

GERMAN COUNCIL Magazin, Standpunkte,
GCM, Ausgabe 02/2021, Seite 52 - 53

Vertrauen ist eine Grundhaltung, die dazu beiträgt, dass Begegnungen zwischen den Menschen gelingen. Dies gilt für alle Lebensbereiche und somit auch für die Beziehung zwischen dem Unternehmen als Arbeitgeber mit seinen Führungskräften und seinen Mitarbeitern. Ist die Beziehung gestört, hat dies weitgehende Auswirkungen, die den Ruf und schließlich auch den Erfolg des Unternehmens beeinflussen.

Insbesondere in den neuen Zeiten der weitgehend flächendeckenden Digitalisierung, die zwischenmenschliche Kontakte stark reduziert, müssen vom Unternehmen initiierte vertrauensbildende Maßnahmen einem Verlust von Vertrauen aufgrund fehlender Begegnung entgegenwirken. Die Vertrauenskultur im Unternehmen muss gestärkt werden. Vertrauen zu genießen bedeutet, Freiraum zu bekommen, sich seiner Natur gemäß entwickeln und kreativ sein zu können.

Das Menschenbild im Unternehmen prägt die Vertrauenskultur.

„Ob“ Vertrauen zwischen dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern entstehen kann, hängt davon ab, welches Menschenbild das Unternehmen seiner Unternehmensführung zugrunde legt. Ist es ein negatives Menschenbild, das davon ausgeht, dass die Menschen ständig Fehler machen und kontrolliert werden müssen, dann kann kein Vertrauen entstehen. Liegt ein positives Menschenbild dem Unternehmensverständnis zugrunde, dann geht der Arbeitgeber davon aus, dass die Arbeit des Mitarbeiters gelingen wird. Das schließt eine Kontrolle nicht aus; denn sie dient dann dazu, die Arbeit des Mitarbeiters anzuerkennen und darauf aufzubauen und sie für das Unternehmen fruchtbar zu machen.

Vertrauen entsteht nur „in Beziehung“ durch ganzheitliche Kommunikation.

„Wie“ kann Vertrauen entstehen bzw. wachsen? Vertrauen kann nur in Beziehung entstehen. Personen können sich gegenseitig nur dann Vertrauen schenken, wenn sie untereinander eine Beziehung pflegen. Anonymität verhindert Vertrauen. Der andere muss für sein Gegenüber sichtbar werden. Genau dieser Punkt ist die Schwachstelle einer ausschließlich digitalen Kommunikation und muss auch zugleich ihre Grenze sein. Die ganzheitliche Kommunikation, die zwischenmenschliche Interaktion in digitaler und in persönlicher Form in Betracht zieht, ist für den Aufbau von Beziehung zwischen Unternehmen und Mitarbeitern unerlässlich.

Vertrauensvolle Beziehung setzt Demut, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit voraus.

„Welche Anforderung“ muss die Beziehung erfüllen, um zu einer vertrauensvollen Beziehung zu werden? Auf den Punkt gebracht können die Voraussetzungen hierfür mit den philosophischen Begriffen der Demut, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit versehen werden. Da sich die Philosophie mit der menschlichen Existenz und dem menschlichen Handeln befasst, kann sie auch für die Unternehmensführung fruchtbar gemacht werden. Denn sie lässt Handlungsableitungen zu und erfüllt damit einen praktischen Zweck im Dienste des Menschen. Inwieweit die genannten philosophischen Begriffe in den Unternehmensalltag übersetzt werden können, wird im folgenden aufgezeigt. Die menschliche Grundhaltung, die wir einnehmen, steht im Zusammenhang mit unserem Selbstbild, das Ausgangspunkt für jedwede Begegnung ist:

Demut – in gegenseitiger Ergänzung zum Ganzen des Unternehmens beitragen

Demut war lange Zeit nicht mehr en vogue.  Sie galt als ein Zeichen der Schwäche. Zu einem vorherrschenden Individualismus passte es nicht, die Wirkmacht des Einzelnen durch ein Verlangen nach Demut einzuschränken. Das hat sich geändert. Schon im frühen Stadium der Corona-Pandemie wurde das Wort Demut wieder präsent. „Die Pandemie macht uns demütig“, so hieß es ganz plötzlich in Wirtschaftskreisen. Es wurde Willy Brandt bei der Kranzlegung im Gedenken an das Warschauer Ghetto der Kniefall als Demutsgeste ausgelegt; das Verneigen eines bei der Kommunalwahl abgewählten Oberbürgermeisters vor dem Neugewählten bezeichnete man in der Presse als eine Gebärde der Demut, und der Gesundheitsminister propagierte in Interviews die Demut, um die weitreichenden Einschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie gegenüber den Bürgern zu begründen. Wird mit der neuerlichen Betonung von „Demut“ einem aus dem Blick geratenen Wert durch eine andere Sicht auf den Menschen neue Kraft verliehen?

Demut ist eine Haltung, die davon ausgeht, dass wir alle aufeinander bezogen sind. Verschiedenheit vom Anderen macht dann einen Sinn, wenn die Menschen sich als gegenseitige Ergänzung empfinden, die ein Ganzes entstehen lässt. Das bedeutet, dass der Einzelne sich zum Anderen in Relation sieht, nicht aber in einem Wettbewerb, den nur einer gewinnen kann. Im Unternehmen entspricht es einer dienenden Grundhaltung, wenn jeder Einzelne - Management und Mitarbeiter - sich fragt, was er zum Ganzen des Unternehmens beitragen kann. Die Sicht auf den Einzelnen in seiner persönlichen Eigenart wird dadurch klarer und die Einheit im Unternehmen gestärkt. Die Reflexion darüber, welche Bedeutung der Andere eigentlich hat, ist eine Aufgabe, die der Unternehmensseite wie auch den Mitarbeitern zukommt. Sie ist angesichts der überwiegenden digitalen Kommunikation umso drängender, als die Kontakte reduziert sind und der Andere digital nicht mehr umfassend als Gegenüber wahrgenommen werden kann. Aus diesem Grunde sind unternehmensinterne Überlegungen darüber hilfreich, welche konkreten Rahmenbedingungen geschaffen werden können, um der Reflexion über den Anderen im Beziehungsgeflecht des Unternehmens tatsächlich Raum zu geben.

Wahrhaftigkeit – immer wieder die „gemeinsame“ Basis von Unternehmen und Mitarbeitern in den Blick nehmen

Wahrhaftigkeit, die das Streben des Menschen nach Wahrheit beinhaltet, hat ebenfalls wie die Demut aufgrund der Corona-Pandemie einen neuen Stellenwert bekommen. Die Menschen sehen sich plötzlich einer Flut von Informationen ausgesetzt, die nur schwer erkennen lässt, welche Information tatsächlich wahr ist.  Man spricht von Verschwörungstheorien, wobei der Einzelne kaum unterscheiden kann, ob er einer Verschwörung oder lediglich einer vom Mainstream abweichenden Meinung folgt. Die Suche nach Wahrheit ist zu einem Thema geworden, das dem Verlangen nach einer Basis entspringt, um weder einem haltlosen Relativismus noch irgendwelchen Sicherheit vorspiegelnden Ideologien zu erliegen.

Auf die Unternehmensführung bezogen ist Wahrhaftigkeit eine Haltung, die einem rein interessengesteuerten einseitigen Handeln entgegengesetzt ist. Sie geht vielmehr davon aus, dass nur eine gemeinsame Basis in die Zukunft trägt. Diese gemeinsame Basis von Unternehmen und Mitarbeitern muss transparent sein, kommuniziert werden und von beiden Seiten bejaht werden. Einseitiger Nutzen wirkt sich zerstörerisch auf die Beziehung aus und verhindert die Bildung von Vertrauen. Gerade bei der verstärkten digitalen Kommunikation muss also die Basis von Unternehmen und Mitarbeitern immer wieder in den Blick genommen werden. Das Verbindende und Identitätsstiftende darf nicht vernachlässigt werden. Von Unternehmensseite muss durch fortdauernde Kommunikation mit den Mitarbeitern die Basis gestärkt werden.

Gerechtigkeit – Sich mit dem Anderen über beiderseitige Bedürfnisse auseinandersetzen

Gerechtigkeit ist eine Haltung, die abzugrenzen ist vom recht haben und eigenes durchsetzen wollen. Gerecht zu sein bedeutet, jedem das Seinige zu geben - „suum cuique“-; nicht aber bedeutet es, allen dasselbe zu geben. Wenn ich im Unternehmen dem Anderen gerecht werden will, muss ich mich mit dem Anderen auseinandersetzen. Wie es in der Welt der digitalen Kommunikation gelingen kann, sich mit dem Anderen zu befassen und mit ihm aktiv auseinanderzusetzen, ist eine Herausforderung, der Unternehmen entsprechen müssen, um der Haltung der Gerechtigkeit Ausdruck zu verleihen. Sich mit dem Anderen zu beschäftigen bedeutet, die Mitarbeiter nicht nur in Meinungsbildungsprozesse oder Entscheidungsprozesse einzubeziehen, sondern darüber hinaus, die Mitarbeiter als Person wahrzunehmen, die mehr ist als ihre Funktion im Unternehmen. Dazu gehört auch, sich gemeinsam mit den Mitarbeitern bewusst zu machen, welche Folgen die veränderten Kommunikationsformen haben, und gemeinsam zu überlegen, wie in Zukunft Begegnungen gestaltet werden können, um den beiderseitigen Bedürfnissen gerecht werden zu können.

Fazit: Die fortschreitende digitale Kommunikation im Unternehmen ist nicht nur eine zeitsparende Chance, sondern es wird zugleich die zwischenmenschliche Interaktion erschwert. Aus diesem Grund wird es infolge der Digitalisierung zur Schlüsselaufgabe in den Unternehmen, Maßnahmen zu treffen, die Vertrauen fördern und so zu langfristig tragbaren Beziehungen im Unternehmen führen können. Hierzu bedarf es von Unternehmensseite als auch von der Seite der Mitarbeiter einer Haltung, die den Anderen in den Blick nimmt. Es geht um die Wahrnehmung der beiderseitigen Interessen in ihrer Unterschiedlichkeit und darum, eine Basis zu schaffen, die von Unternehmen und Mitarbeitern gemeinsam angenommen wird, sowie um eine fortdauernde dialogische Kommunikation mit den Mitarbeitern, die den beiderseitigen Bedürfnissen gerecht wird.

Ein Beitrag von: Dr. Ursula Grooterhorst, Rechtsanwältin, Mediatorin und Coach, Düsseldorf

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